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Seminararbeiten Rechtsgeschichte

Autor: Lutz Mager


Wege völkischer Rechtserneuerung:

Rechtsquellenlehre und Auslegung als Gesetzgebungsersatz

Fälle zur Verdeutlichung der Methoden völkischer Rechtserneuerung

 

Fall 1

 

Die A arbeitet seit dem 01.04.1927 als Bürogehilfin im Betrieb des B. Sie erfüllte ihre Aufgaben stets tadellos.

Überraschend kündigt B der A am 14.06.1930 mit der Begründung, daß Frauen seiner Meinung nach im eigenen Haushalt tätig werden sollten. Empört erwidert A -nach vorheriger Konsultation des Betriebsrats- dem B, daß eine solche Kündigung gegen § 81 I Nr. 1 BRG verstoße und daher unzulässig sei.

 

Konnte B der A kündigen?

 

Abwandlung:

 

Die hohe Anzahl männlicher Erwerbsloser macht den B stark betroffen. Um einen kleinen Beitrag zu leisten, plant er, einigen weiblichen Angestellten, die ihren Verdienst nicht für den unbedingt notwendigen Lebensunterhalt benötigen, zugunsten der männlichen Arbeitslosen zu kündigen.

Am 15.05.1933 kündigt B der A mit dieser Begründung zum 30.09.1933.

 

Ist eine Kündigung nun zulässig?

 

§ 84 Betriebsrätegesetz vom 04.02.1920

 

I. Arbeitnehmer können im Falle der Kündigung seitens des Arbeitgebers ... Einspruch erheben, (...):

1. wenn der begründete Verdacht vorliegt, daß die Kündigung wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlechte ... erfolgt ist;

(...)

4. wenn die Kündigung sich als eine unbillige, nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers oder durch die Verhältnisse des Betriebs bedingte Härte darstellt.

 

Lösungsskizze Fall 1 (Abwandlung)

 

 

Problem: "Die Kündigung ist ..., wenn man lediglich den Buchstaben des Gesetzes folgt, unzulässig gewesen."

 

 

Lösung: Das Betriebsrätegesetz stammt von einem Gesetzgeber, der das Individualinteresse schützen wollte;

 

"Diese Auffassung entspricht nicht mehr der Weltanschauung und dem Rechtsgefühl, das mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch den Nationalsozialismus Gemeingut des ganzen Volkes geworden ist."

 

Die Zielsetzung der neuen Weltanschauung ist nun bestrebt,

 

"die Frau wieder ihrem häuslichen Wirkungskreise zuzuführen und die Arbeitsplätze den männlichen Volksgenossen vozubehalten."

 

 

Ergebnis Die Kündigung entsprach den von der Regierung verfolgten Plänen und

und

Folge: "geschieht demnach im Interesse der Allgemeinheit."

 

"Wollte das Gericht sich an den Buchstaben des Gesetzes [das unzweifelhaft bald geändert werden würde] halten und die jetzige Rechtsauffassung unberücksichtigt lassen, so würden seine Entscheidungen dazu führen, daß dem Willen der Regierung entgegengearbeitet wird. Daher ist das Gericht bei seiner Entscheidung bewußt vom geltenden Gesetz im Sinne der neuen Rechtsauffassung abgewichen (...)."

 

(Fall nach LAG Gleiwitz vom 17.08.1933, ARS 19, 16-18)

 

Fall 2

 

 

Der (bekanntermaßen) jüdische Regisseur R und die Filmgesellschaft F schlossen am 24.02.1933 einen Regievertrag über den Film "Die Heimkehr des Odysseus". Der Vertrag enthielt folgende Klausel:

 

"Sollte der Vertrag aus dem Grunde nicht durchführbar werden, daß R durch Krankheit, Tod oder ähnlichen Grund nicht zur Durchführung seiner Regietätigkeit imstande sein sollte, so ist die Filmgesellschaft F zum Rücktritte berechtigt."

 

Bei den Vertragsverhandlungen hatten Vertreter der F diese Klausel erklärt mit der Befürchtung, daß - wie in Künstlerkreisen durchaus möglich und ihnen bereits widerfahren - mitten in der Arbeit beim Künstler eine Geistesstörung eintreten könnte.

 

Am 05.04.1933 trat die F unter Berufung auf den Rücktrittsvorbehalt und Hinweis darauf, daß R als Jude nicht zur Ausübung seiner Regietätigkeit in der Lage sei, vom Vertrag zurück.

 

Wie ist die Rechtslage?

 

Lösungsskizze Fall 2

 

 

1. Problem: Die Regieführung des R ist rein tatsächlich möglich geblieben. Einzig die Berufung auf Verhinderung "aus ähnlichem Grund" verbleibt.

Dieser Grund müßte - insbesondere nach den Vertragsverhandlungen - sich auf körperliches bzw. geistiges Unvermögen beziehen.

 

 

Lösung: Nach §§ 133, 157 BGB ist dieses Verständnis ein unzulässiges Haften am Wortlaut; die Äußerungen der Vertreter der F waren lediglich beispielsmäßig. Die Klausel erstreckt sich daher

 

"auf alle Fälle, in denen R durch einen in seiner Person liegenden Umstand an der Ausübung der vertraglich bedungenen Tätigkeit verhindert sein sollte."

 

Es ist der F daher gestattet, den genannten Gründen Krankheit und Tod andere Gründe gleichzusetzen.

 

 

2. Problem: Judentum mit Krankheit und Tod gleichsetzen?

 

 

Lösung: Tatsächliche Gründe - "Der tiefgehende Umschwung in der öffentlichen Meinung habe schlechterdings [nach Ablauf einer gewissen Übergangszeit] keine weitere Beschäftigung von Juden mehr zugelassen, wenn die [F] nicht Gefahr laufen [wollte], sich zu den Bestrebungen der Reichsregierung und zum Willen des gesamten Volkes in Widerspruch zu setzen."

 

'Rechtliche' Gründe - Nach liberaler Vorstellung bestanden unter "den Wesen mit Menschenantlitz keine grundsätzlichen Wertunterschiede." Der Befugniskreis des einzelnen ist seit der Machtübernahme jedoch rassemäßig bedingt. (Vgl. Punkte 4-6 des NSDAP-Programms)

 

"Der nationalsozialistischen Weltanschauung (...) entspricht es, im Deutschen Reiche nur Deutschstämmige (...) als rechtlich vollgültig zu behandeln. Damit werden Grundsätze des früheren Fremdenrechts erneuert (...). Den Grad völliger Rechtslosigkeit stellte man ehedem, weil die rechtliche Persönlichkeit ganz zerstört sei, dem leiblichen Tode gleich."

Wenn in dem Vertrag nun von Krankheit, Tod oder ähnlichem Grund die Rede ist, "so ist unbedenklich eine aus gesetzlich anerkannten rassepolitischen Gesichtspunkten eingetretene Änderung in der rechtlichen Geltung der Persönlichkeit dem gleichzuachten, sofern sie die Durchführung der Regietätigkeit in entsprechender Weise hindert, wie Tod oder Krankheit es täten."

 

(Fall nach RG vom 27.06.1936, in: JW 1936, 2529)

 

Fall 3

 

 

F, ein Franzose, wohnt in einer Zweizimmerwohnung in Hamburg zur Miete. Die übrigen Mieter des Hauses sind ebenfalls Franzosen und verständigen sich ausschließlich in ihrer Muttersprache.

Im Laufe der Zeit sind die übrigen Mieter bis auf F weggezogen. Stattdessen bewohnen nun Engländer die anderen Wohnungen, die ihrerseits nur noch Englisch sprechen.

Die Engländer fühlten sich nun durch die Anwesenheit eines Franzosen in 'ihrem' Hause gestört. Mit dem Hinweis, Engländer und Franzosen verstünden sich nun mal nicht gut, verlangten sie vom Vermieter, daß dieser nach § 2 MieterSchG das Mietverhältniss des F aufheben lasse.

 

Ist eine Aufhebung nach § 2 MieterSchG möglich?

 

Abwandlung:

 

M, eine Jüdin, wohnt seit 1927 in einer Zweizimmerwohnung in Schöneberg. Am 30.08.1938 erhebt der Vermieter Klage nach § 2 MieterSchG. Als Begründung wird angeführt, daß zwischen Deutschen und Juden keine Hausgemeinschaft möglich und ihr Verbleib im Hause im Interesse der deutschen Mietern nicht mehr zu dulden sei. Zudem könnten für Deutsche in Berlin nur schwierig kleine und billigere Wohnungen beschafft werden.

 

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

 

 

§ 2 Mieterschutzgesetz vom 01.06.1923

 

I. Der Vermieter kann auf Aufhebung des Mietverhältnisses klagen, wenn der Mieter (...) sich einer erheblichen Belästigung des Vermieters oder eines Hausbewohners schuldig macht (...).

II. Die Klage ist nur zulässig, wenn der Mieter (...) das Verhalten fortsetzt (...).

 

Lösungsskizze Fall 3 - Abwandlung

 

 

1. Problem: Belästigung des Vermieters, da M Jüdin ist?

 

 

Lösung: Zunächst grundsätzlich - "Diese Bestimmung soll die Ruhe, den Frieden und die Ordnung im Hause sichern und will den Vermieter berechtigen, Mieter, die in unerträglicher Weise die Ruhe und Ordnung stören, aus dem Hause zu entfernen.

§ 2 MieterSchG dient damit dem Schutz zur Erhaltung der Hausgemeinschaft. Die Hausgemeinschaft, die Gemeinschaft aller ein Haus bewohnenden Parteien, ist ein Bestandteil der deutschen Volksgemeinschaft. (...) Sie ist ein außerordentlich wichtiges Glied dieser Volksgemeinschaft. (...) Ihre außerordentliche Bedeutung dürfte heute besonders klar werden. Ihre Stellung im Luftschutz ist bei den möglichen Auswirkungen der feindlichen Luftkriegsführung auf die zivile Bevölkerung dafür besonders kennzeichnend. (...) Diese Gemeinschaft ist für den Widerstandswillen und die Widerstandskraft des Volkes in schwerer Zeit von nicht zu überschätzender Bedeutung und damit ein wesentliches Element der deutschen Volksgemeinschaft."

 

Daher "bilden alle Tatsachen eine erhebliche Belästigung des Vermieters, die einen Mieter als Fremdkörper in der Gemeinschaft der Hausbewohner erscheinen lassen, so daß die Bildung oder die Erhaltung der Hausgemeinschaft nicht möglich ist.

 

 

2. Problem: Jude sein als Verhalten?

 

 

Lösung: Unter Verhalten sind "aber auch die persönlichen Eigenschaften des Mieters zu verstehen, da ja das Tun und Lassen nur die Lebensäußerungen der Persönlichkeit sind. Danach bildet auch der Mieter eine erhebliche Belästigung des Vermieters, der infolge seiner persönlichen Eigenschaft die Begründung oder die Erhaltung der Hausgemeinschaft hindert."

 

 

3. Problem: Worin liegt das Verschulden?

 

 

Lösung: Es muß "auch der Begriff des Verschuldens eine andere Auslegung erfahren, wenn er mit dem alles beherrschenden Streben des deutschen Volkes nach Bildung einer Volksgemeinschaft im Einklang gebracht werden soll. (...) Nur die innere Bereitschaft aller Hausbewohner zur Hausgemeinschaft führt zur Bildung einer Hausgemeinschaft. Das Nichtvorhandensein dieser inneren Bereitschaft zur Hausgemeinschaft muß als Verschulden i.S.d. § 2 MieterSchG verstanden werden, ohne daß es darauf ankommt, ob dieses Fehlen der Bereitschaft auf Verschulden im eigentlichen Sinne (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) beruht. Der Jude gehört nicht zur deutschen Volksgemeinschaft. Der jüdische Mieter kann infolge seiner persönlichen Eigenschaft als Jude keine Hausgemeinschaft bilden."

 

Trotzdem: "Die Tatsache, daß der Mieter Jude ist, ist von ihm nicht im eigentlichen Sinne verschuldet. Im Sinne des § 2 MieterSchG trifft ihn jedoch Verschulden. Er ist nicht nur ein Fremdkörper innerhalb der Gemeinschaft der deutschen Hausbewohner, ihm fehlt auch darüber hinaus die notwendige innere Einstellung zu einer Gemeinschaft mit Deutschen. Die Fortsetzung des Mietvertrages mit ihm kann einem deutschen Vermieter, wenn dieser ernstlich die Bildung der Hausgemeinschaft anstrebt und deshalb die Entfernung des jüdischen Mieters fordert, nicht zugemutet werden."

 

(Fall nach AG Schöneberg vom 16.09.1938, in: JW 1938, 3045)

 

Alternativlösungsskizze Fall 3 - Abwandlung

 

 

Problem: Anwendbarkeit des MieterSchG auf Juden?

 

 

Lösung: Wieder grundsätzlich - " Es handelt sich nicht um eine Frage, die durch Auslegung des MieterSchG gelöst werden kann, sondern um eine weltanschauliche Frage. Eine Gemeinschaft mit Juden wird von deutschen Volksgenossen grundsätzlich abgelehnt, und zwar sowohl das Zusammenwohnen mit Juden, wie überhaupt jede Art von Gemeinschaft. Dies ist durch die nationalsozialistische Bewegung im deutschen Volke fest verankert und nicht nur ein Programmsatz, sondern ein Rechtssatz, der bereits jetzt gilt."1

 

Spezieller: " Das MieterSchG ist nach seiner Entstehungsgeschichte und nach seiner Zielrichtung ein im eigentlichen Sinne 'sozialistisches' Gesetz. Es beschränkt den einzelnen Hausbesitzer zugunsten der Gemeinschaft des ganzen Volkes, für das die Notwendigkeit gesunden und ausreichenden Wohnraumes eine Lebensfrage ist, die nicht nach privatkapitalistischen Gesichtspunkten gelöst werden kann. (...) Es ist auf diesem Gebiete der gesetzliche Ausdruck der Forderung des Parteiprogramms: 'Gemeinnutz geht vor Eigennutz.'

 

"Da das MieterSchG also bestimmt ist, der Gemeinschaft des deutschen Volkes zu dienen, kann es nur für diejenigen gelten, die zur Gemeinschaft des deutschen Volkes gehören oder doch sich in diese Gemeinschaft blutmäßig einordnen können. Es würde daher dem Zweck, den der nationalsozialistische Gesetzgeber mit der Beibehaltung und Erweiterung des Gesetzes verfolgt hat, widersprechen, wenn seine Schutzbestimmungen auf Personen angewandt werden, die außerhalb der Gemeinschaft des deutschen Volkes stehen und auch nie zu ihr gehören können.

Dies ist bei Juden der Fall. Sie stehen nach ihrer Rasse und ihren sittlichen Anschauungen in unüberbrückbarem Gegensatze zum deutschen Volke."

 

"Der Richter ist an dieser Rechtsauffassung nicht dadurch gehindert, daß eine ausdrückliche Regelung dieser Frage durch den Gesetzgeber bisher nicht erfolgt ist. Denn der Umstand, daß die Staatsführung einen Rechtszustand, der mit nationalsozialistischen Anschauungen nicht vereinbar ist, noch nicht förmlich geändert hat, schließt nicht aus, daß der Richter bei seiner Entscheidung diesem Zustand die Anerkennung versagt und nötigenfalls versagen muß."2

 

"Daß bei einer Kündbarkeit der Verträge mit jüdischen Mietern zahlreiche Juden in Deutschland obdachlos werden würden, mag sein, kann aber nichts ändern. Diese Wohnungen werden dann deutschen Volksgenossen zur Verfügung stehen, was bei dem jetzigen Wohnungsmangel nur erwünscht ist."1

 

(nach 1 LG Berlin vom 07.11.1938, in: JW 1938, 3242

sowie 2 AG Nürnberg vom 26.11.1938, in: JW 1938, 3243)

 


 
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