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Rolf-H. Hinterthür


Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Ein Rechtsbehelf bei schuldloser
Versäumung bestimmter Fristen

 

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis *
Inhaltsverzeichnis *

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand *

A. Versäumung und Wiedereinsetzung

B. Voraussetzungen der Wiedereinsetzung

1. Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages

a) Statthaftigkeit

b) Zuständigkeit

c) Form

d) Frist

e) Prozesshandlungsvoraussetzungen

f) Rechtsschutzbedürfnis

2. Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages

a) Grundsatz

b) Einzelfälle

(1) Verhinderungen der Partei selbst

(2) Verhinderungen durch zurechenbares Verschulden des Bevollmächtigten

(3) externe Hindernisse

C. Entscheidung über die Wiedereinsetzung

D. Folgen der Wiedereinsetzung

E. Kosten der Wiedereinsetzung

1. Kostenhöhe

2. Kostenentscheidung

F. Die Anfechtung der Wiedereinsetzungsentscheidung

G. Beispiel für einen Wiedereinsetzungsfall

 

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

-Ein Rechtsbehelf bei schuldloser Versäumung bestimmter Fristen-

 

Versäumung und Wiedereinsetzung

Termine und Fristen sind das A und O eines Rechtsstreites. Sie dienen der Rechtssicherheit durch die nach ihrem Ablauf eintretende Rechts- oder Bestandskraft ergangener Entscheidungen. Ist für die Vornahme einer Prozesshandlung ein Termin oder eine Frist vorgeschrieben, so liegt Versäumung vor, wenn die Handlung nicht rechtzeitig vorgenommen wird.

In allen Fällen ist

  • allgemeine Folge der Versäumung, dass die Partei mit der entsprechenden Prozesshandlung ausgeschlossen ist: §230 ZPO;
  • unbeachtlich, warum es zur Versäumung gekommen ist und ob diese schuldhaft erfolgte: § 231 I ZPO.

In einigen Fällen sieht das Gesetz spezielle Folgen vor. z.B.:

  • Kostennachteile, z. B. §§ 95, 97 II, 344 ZPO
  • Fiktion ungünstiger Prozesshandlungen, z. B.
    - Geständnis: § 138 III, 239 IV, 439 III ZPO
    - Einwilligung in die Klageänderung: § 267 ZPO
    - Beweisergebnis: § 427 ZPO
    - Zuständigkeit bei nicht rechtzeitiger Rüge der Unzuständigkeit: § 39 ZPO

Um innerhalb dieser formalen Ordnung auch für Einzelfall gerechte Entscheidungen zu finden und eine Verfahrensgestaltung zu erreichen, die den Anforderungen an das rechtliche Gehör entspricht, sieht die Zivilprozessordnung als Rechtsbehelf gegen die Versäumung bestimmter Fristen ein eigenes Institut vor, die

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Ist eine bestimmte Frist schuldlos versäumt worden, so kann die Partei nach den Vorschriften der §§ 233 - 238 ZPO verlangen, wieder so gestellt zu werden, wie sie vor dem Verstreichen dieser Frist prozessual stand.

 

Voraussetzungen der Wiedereinsetzung

Zu unterscheiden sind die Zulässigkeit und die Begründetheit des Rechtsbehelfs.

Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages

Statthaftigkeit

Statthaft ist der Wiedereinsetzungsantrag bei:

  • Versäumung einer Notfrist

Eine Frist ist eine Notfrist, wenn sie ausdrücklich in der ZPO als solche bezeichnet wird, § 224 I 2 ZPO.

Notfristen können nicht verlängert oder verkürzt werden.

Dies folgt für Parteivereinbarung aus § 224 I 1 ZPO und für gerichtliche Vornahme aus § 224 II ZPO, denn bei keiner Notfrist ist eine Verlängerungs- oder Verkürzungsmöglichkeit vorgesehen.

  • Versäumung einer in § 233 ZPO besonders genannten Frist
    - Berufungsbegründungsfrist § 519 II 2 ZPO; auch Anschlussberufung § 522a II ZPO
    - Revisionsbegründungsfrist § 554 II 2 ZPO; auch Anschlussrevision § 556 I u. II ZPO
    - Frist zur Begründung einer Beschwerde nach §§ 621e, 629a II ZPO (Familiensachen)
    - Frist des § 234 I ZPO (Antragsfrist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand)

Als Ausnahmevorschrift ist § 233 ZPO eng auszulegen und damit nicht analog auf andere Fristen anwendbar, insb. nicht auf die Widerrufsfrist für Prozessvergleiche.

 

Zuständigkeit

Zuständig für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist das Gericht, das auch über die versäumte Prozesshandlung zu befinden hat, § 237 ZPO.

Beispiele:

  • bei versäumter Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist: Berufungsgericht;
  • bei versäumter Frist zur sofortigen Beschwerde: Beschwerdegericht

Wichtige Ausnahme:

Das Revisionsgericht kann anstelle des Berufungsgerichtes im Revisionsverfahren Wiedereinsetzung für versäumte Berufungs- oder Berufungsbegründungsfristen gewähren oder verweigern, wenn das Berufungsgericht

  • die Entscheidung über eine Wiedereinsetzung noch nicht getroffen hat oder
  • die Wiedereinsetzung verweigert hat.

Dies gilt auch für das Gericht der weiteren Beschwerde.

 

Form

Die Wiedereinsetzung erfolgt entweder

  • auf Antrag der Partei oder ihres Nebenintervenienten (§ 67 ZPO),
    • der in Form der versäumten Prozesshandlung gestellt werden muss, § 236 I ZPO:

o schriftlich, z.B. nach § 340 I (Einspruchsschrift gegen VU),

§ 518 I (Berufungsschrift),

§ 553 I (Revisionsschrift),

o Anwaltszwang, wie für die versäumte Prozesshandlung, § 78 ZPO,

o Adressat ist das Gericht des § 237 ZPO (s.o.),

    • der inhaltlich dem § 236 II S 1, S 2 1. HS ZPO entsprechen muss:

o Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen,

o Glaubhaftmachung dieser Tatsachen,

Zur Glaubhaftmachung kann der Antragsteller gem. § 294 I ZPO

    • sich aller Beweismittel bedienen,

    • zur Versicherung an Eides Statt zugelassen werden,

o Nachholen der versäumten Prozesshandlung,

oder

  • von Amts wegen, § 236 II 2 ZPO.
    • Gewährung liegt im Ermessen des Gerichts,
    • rechtfertigende Tatsachen müssen akten- oder offenkundig sein, § 291 ZPO,
      Tatsachen, die nicht akten- oder offenkundig sind müssen innerhalb der Frist des § 234 I ZPO dargelegt werden,
    • die nachzuholende Prozesshandlung wurde vor oder innerhalb der Frist des § 234 I ZPO nachgeholt.

 

Frist

Der Antrag muss binnen zwei Wochen ab Beseitigung des Hindernisses gestellt werden, § 234 I, II ZPO. Insbesondere also ab Kenntnis der Nichtrechtzeitigkeit der Prozesshandlung. Der Tag an dem das Hindernis behoben wird, wird bei der Frist nicht mitgerechnet, § 187 I BGB.

Ist vom Ende der versäumten Frist an gerechnet ein Jahr vergangen, so ist der Antrag auf Wiedereinsetzung ausgeschlossen, § 234 III ZPO.

Der Tatsachenvortrag hat in der Frist des § 234 ZPO zu erfolgen. Ein Nachschieben von Gründen ist nicht möglich.

 

Prozesshandlungsvoraussetzungen

Wie bei jeder Prozesshandlung müssen auch hier alle Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen (Partei- und Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit, Vertretungsmacht...)

 

Rechtsschutzbedürfnis

Am Rechtsschutzbedürfnis kann es insb. fehlen, wenn

  • die Frist gar nicht versäumt ist,
  • die versäumte Prozesshandlung prozessual überholt ist oder
  • die Versäumung keine nachteiligen Folgen für den Antragsteller hat.

 

Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages

Grundsatz

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist begründet bei unverschuldeter Fristversäumung.

  • Die Fristversäumung kann auf jedem Umstand beruhen, der verhindert hat, dass die fristwahrende Prozesshandlung rechtzeitig vorgenommen wurde.
  • Unverschuldet bedeutet das Fehlen von Vorsatz und Fahrlässigkeit, wie § 276 BGB.

    • Personen: Es ist abzustellen auf die

o Partei, Nebenintervenient

o ihre gesetzlichen Vertreter,

o ihre Bevollmächtigten (Rechtsanwalt: § 85 II ZPO).

Die Wiedereinsetzung ist gehindert, wenn entweder die Partei, den Nebenintervenienten oder ihren Vertreter, insb. den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden trifft.

Verschulden Dritter, insb. des Büropersonals eines Rechtsanwalts oder anderer Hilfspersonen hindert die Wiedereinsetzung jedoch nicht.

    • Maßstab:

o Bei Rechtsanwälten muss auf die für eine Prozessführung erforderliche, übliche Sorgfalt eines ordentlichen Rechtsanwalts abgestellt werden.

o Bei Rechtsreferendaren als amtlich bestellten Vertretern eines Rechtsanwaltes (§§ 53 IV BRAO, 85 II ZPO) ist ein weniger strenger Maßstab als bei Rechtsanwälten anzulegen.

o Bei anderen Personen muss der Maßstab des Verschuldens auf die vorauszusetzenden Fähigkeiten der betreffenden Person (subjektiv) angelegt werden. Er ist daher bei Rechtsunkundigen weit geringer als bei Rechtsanwälten.

    • Ursächlichkeit

Die Fristversäumung muss auf unverschuldeten Umständen beruhen.

Wurde die Fristwahrung aufgrund eines verschuldeten Umstandes verhindert, darf Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, auch wenn andere, unverschuldete Umstände mitgewirkt haben: "Mitursächlichkeit"

Ein verschuldeter Fehler steht der Wiedereinsetzung dann nicht entgegen, wenn er sich auf die Fristversäumung nicht ausgewirkt hat.

 

Einzelfälle

Hier hat sich eine nahezu unübersehbare Kasuistik gebildet. Grob kann eine Einteilung in drei Gruppen vorgenommen werden: Verhinderungen der Partei selbst, Verhinderungen durch zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten und externe Hindernisse.

Verhinderungen der Partei selbst

Beispiele:

  • Abwesenheit:
  • Jahresurlaub, bis zu 6 Wochen: hier bedarf es nur Vorkehrungen, um erreichbar zu sein, wenn ein bereits anhängiges gerichtliches Verfahren in einem Stadium ist, in dem mit Zustellungen, die eine Frist in Gang setzen, gerechnet werden muss.
  • Geschäfts-, Dienstreisen, Wohnungswechsel: hier ist regelmäßig Vorsorge für eine rechtzeitige Kenntnisnahme von Zustellungen zu treffen.
  • Haft: plötzliche Inhaftierung kann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Nach einigen Tagen muss der Inhaftierte aber dafür sorgen, dass ihn Zustellungen erreichen.
  • Arbeitsüberlastung:

Bei Möglichkeit, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen: keine Wiedereinsetzung

Ist die Möglichkeit einer Fristverlängerung gesetzlich ausgeschlossen, regelmäßig auch keine Wiedereinsetzung, weil fristgebundene Angelegenheiten im Privatbereich bevorzugt behandelt werden müssen, oder Hilfskräfte eingesetzt werden müssen.

  • Krankheit

Krankheit ist nur dann ein Grund für Wiedereinsetzung, wenn wegen der Krankheit die Fristwahrung nicht möglich war, d.h. es wegen der Krankheit unmöglich war, sich an einen Anwalt oder das Gericht zu wenden. Art und Schwere der Krankheit sind substantiiert darzulegen.

  • Tod

Im Parteiprozess, in dem die Partei nicht durch einen Anwalt vertreten war, führt der Tod der Partei zur Unterbrechung des Verfahrens (§§ 239, 246 ZPO). Fristversäumung daher unmöglich.

Im Anwaltsprozess tritt durch den Tod der Partei keine Unterbrechung ein (§ 246 I ZPO), der Anwalt bleibt für die Fristwahrung verantwortlich.

 

Verhinderungen durch zurechenbares Verschulden des Bevollmächtigten

Beispiele:

  • Büroorganisation

Die Schaffung einer Büroorganisation, die bei der Berechnung und Überwachung von Fristen Fehler soweit wie möglich ausschließt, ist eine eigene Obliegenheit des Rechtsanwalts. Verletzungen dieser Obliegenheit sind der Partei gem. § 85 II ZPO zuzurechnen. Nicht zuzurechnen sind hingegen individuelle Fehler des Büropersonals, die sich auch bei optimaler Organisation nicht vermeiden oder rechtzeitig entdecken lassen.

Vergl. dazu den Beispielsfall im Anhang.

  • Fristausnutzung bis zum letzten Tag

Grundsätzlich darf eine Frist bis zum letzten Tag ausgenutzt werden. Es gelten dann jedoch besondere Sorgfaltsmaßstäbe:

    • Berücksichtigung der Übermittlungszeit für die vorgesehene Übermittlungsart
    • Kontrolle der Armbanduhr auf Ganggenauigkeit
    • Scheitert die vorgesehene Übermittlungsart, muss ein zumutbarer anderer Übermittlungsweg beschritten werden.
  • Vertretungsregelung

Für den Fall der Verhinderung des Anwalts, Krankheit etc. müssen klare Vertretungsregeln bestehen. Es darf sich nicht einer auf den anderen verlassen.

  • Wiedereinsetzung nach PKH-Verfahren
  • der Partei wird später PKH bewilligt

Bis zum Ablauf des letzten Tages der Berufungs- oder sonstigen Notfrist muss der Anwalt für die i.S. d. §§ 114 ff ZPO bedürftige Partei ein Prozesskostenhilfegesuch bei Gericht einreichen. Da über den Antrag in der Regel erst nach Ablauf der Berufungs- oder sonstigen Notfrist entschieden wird, wird nach der Entscheidung über den PKH-Antrag grundsätzlich Wiedereinsetzung gewährt, denn bis zur Bewilligung der PKH ist die Partei unverschuldet verhindert, die Frist zu wahren.

  • der Partei wird später PKH versagt

Hat der Antragsteller einen ordnungsmäßigen Antrag eingereicht, so kommt es für sein Verschulden darauf an, ob er sich für bedürftig halten durfte. Im Wiedereinsetzungsantrag muss daher begründet werden, warum sich die Partei für bedürftig hielt. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf PKH-Bewilligung besteht dann, wenn für die Vorinstanz PKH bewilligt wurde und es zu keiner zwischenzeitlichen Einkommenserhöhung gekommen ist.

  • Unklarheiten bei Deckungsschutz durch eine Rechtsschutzversicherung

Keine Wiedereinsetzung, wenn wegen noch fehlender Deckungszusage durch die Rechtsschutzversicherung die rechtzeitige Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels versäumt worden ist.

 

externe Hindernisse

Beispiele:

  • Post

Auf die Postlaufzeiten, die nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post für den Normalfall bekannt gemacht werden, kann vertraut werden.

Dies gilt auch für Laufzeitangaben anderer konzessionierter Postbeförderungsunternehmen.

  • Fax

Auf den Sendebericht eines Fax darf vertraut werden. Bei Netzstörungen, die den Zugang eines Fax verhindern, ohne dass dies aus dem gedruckten Sendebericht hervorgeht, besteht ein Wiedereinsetzungsgrund. Gleiches muss für den nur in elektronischer Form vorliegenden Sendebericht eines Computerfaxes gelten.

  • Gerichtsbetrieb

Fehler im Gerichtsbetrieb sind regelmäßig ein Grund für eine Wiedereinsetzung.

  • Gesetzesänderungen

Auf Gesetzesunkenntnis beruhende Fristversäumnisse sind grds. verschuldet. Nur ausnahmsweise, wenn ein Gesetz nicht hinreichend früh bekannt gemacht wurde, kann es sich um einen Fall schuldloser Fristversäumung handeln.

  • Änderungen in der Rechtsprechung

Parteien und Anwälte können im Rahmen der Wiedereinsetzung auf eine langjährige Praxis vertrauen. Dies jedoch nicht blind, sondern unter Beobachtung neuerer Entwicklungen.

BverfG NJW 1993, 720: Vertrauen auf Rechtsprechung, dass bei rechtzeitig gestelltem PKH-Antrag Wiedereinsetzung gewährt wird (s.o.).

Eine umfassende Übersicht über die Kasuistik findet sich bei Büttner, Helmut, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, 2. Auflage, Bonn 1999 (Jur.Sem: XI 1260a), S. 67 - 170.

 

Entscheidung über die Wiedereinsetzung

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung kann stattgegeben werden oder er wird als unzulässig verworfen bzw. als unbegründet zurückgewiesen.

Eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ergeht

  • gesondert durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO): § 238 I 2 ZPO
    (Ausnahmefall, nach Beschränkung des Verfahrens)

Tenor z.B.:

"Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gegen die Versäumung der Frist zur ... wird zurückgewiesen." oder " Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur ... gewährt."

Beim Zwischenurteil ergeht keine Kostenentscheidung.

  • zusammen mit der Entscheidung über die Hauptsache, in der dafür vorgesehenen Form: § 238 I 1 ZPO (Regelfall), d.h. Beschluss, wo die Hauptsache keine mündliche Verhandlung erfordert, sonst durch Urteil.

Tenor z.B.

"Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gegen die Versäumung der Frist zur Berufung gegen das Urteil ... wird zurückgewiesen und die Berufung gegen das Urteil ... als unzulässig verworfen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

 

Folgen der Wiedereinsetzung

  • Die -objektiv verspätet vorgenommene- Prozesshandlung wird als fristgerecht angesehen.
  • Zwischenzeitlich wegen der Verspätung ergangene Entscheidungen werden automatisch wirkungslos. Es empfiehlt sich häufig ein deklaratorischer Beschluss.

Beispiele: Versäumnisurteil, Beschluss über die Verwerfung eines Rechtsmittels

  • Auf Antrag erfolgt einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, regelmäßig gegen Sicherheitsleistung, § 707 I 1 ZPO.

 

Kosten der Wiedereinsetzung

Kostenhöhe

Kosten der Wiedereinsetzung können nur durch Auslagen der Parteien oder durch Beweisaufnahmen entstehen, da das Verfahren keine besonderen Gebühren verursacht (§ 1 I GKG; § 37 BRAGO). Ausnahme: Ein Rechtsanwalt wird nur im Wiedereinsetzungsverfahren tätig. Hier entsteht eine Gebühr nach § 31 I Nr. 1 BRAGO.

 

Kostenentscheidung

Grundsatz: Die Kosten, die durch die Wiederaufnahme entstanden sind, trägt der Antragsteller (§238 IV 1. HS ZPO). Dies ist in der Kostenentscheidung zur Hauptsache durch einen besonderen Ausspruch nur dann zu berücksichtigen, wenn der Antragsteller nicht sowieso alle Kosten des Rechtsstreits trägt (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Beispiel: "Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch die Wiedereinsetzung entstandenen Kosten; diese hat der Beklagte zu tragen."

Ausnahme: der Antragsgegner trägt die Kosten dann, wenn er unbegründet widersprochen hat (§ 238 IV 2. HS ZPO). Die hier erforderliche Kausalität wird bei der gebotenen Prüfung von Amts wegen nur selten gegeben sein.

 

Die Anfechtung der Wiedereinsetzungsentscheidung

Die Gewährung der Wiedereinsetzung ist unanfechtbar, § 238 III ZPO.

Gegen die Versagung der Wiedereinsetzung ist der Rechtsbehelf statthaft, der für die erlassene oder die danach zu erlassende Sachentscheidung vorgesehen ist, § 238 II ZPO.

Beispiel: Bei Endurteil oder Zwischenurteil mit darin enthaltener Wiedereinsetzungsentscheidung: Berufung (falls § 511 ZPO zutrifft) oder Revision (sofern §§ 545 - 547 ZPO einschlägig sind).

 

 

Beispiel für einen Wiedereinsetzungsfall

(frei nach Musielak, ZPO, 4. Auflage, S. 174, 175 und Büttner S. 209, 213f)

Der Gastwirt Jan Peter Müller wird in erster Instanz vom Landgericht Göttingen zur Zahlung von 15.000 DM an den Rechtsreferendar Peter Schulz verurteilt.

Das Urteil des Landgerichts vom 26. 06. 2000 wird seiner Rechtsanwältin, Frau Viktoria Barsch, am 3. Juli 2000 zugestellt.

Herr Müller hält dieses Urteil für einen Skandal und will gegen das Urteil Berufung einlegen. Er bittet Rechtsanwältin Barsch, das Erforderliche zu veranlassen.

Frau Barsch, die zugleich als Rechtsanwältin beim Berufungsgericht, OLG Braunschweig, zugelassen ist, will die Berufungsschrift später abfassen, da sie zur Zeit zu stark überlastet ist. Sie weist deshalb ihre Büroangestellte Annemarie Apfel, die in der Kanzlei schon seit vielen Jahren beschäftigt ist und sich stets als zuverlässig erwiesen hat, an, ihr die Akte am 24. Juli vorzulegen. Entsprechend generell erteilter Anweisungen der Frau Barsch müssen solche Fristen im Fristenkalender eingetragen werden, wobei Rechtsmittelfristen durch Textmarker besonders zu kennzeichnen sind. Der Fristenkalender muss täglich von Frau Apfel kontrolliert werden. Die Einhaltung ihrer Anweisungen kontrolliert Frau Barsch stichprobenartig.

Frau Apfel will diese Eintragung auch vornehmen, vertut sich aber um einen Monat und trägt den 24. August 2000 als Wiedervorlagedatum ein, welches sie anweisungsgemäß markiert.

Die Akte mit dem Urteil wird Rechtsanwältin Barsch erst am 24. August vorgelegt.

 

Kann Rechtsanwältin Barsch jetzt noch Berufung einlegen?

 

 

Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat; diese Frist ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des Urteils (§ 516 ZPO). Für die Berechnung der prozessualen Fristen gelten die Vorschriften des BGB (§ 222 Abs. 1 ZPO). Dementsprechend lief die Berufungsfrist am 03. August 2000 ab. Eine verspätete eingelegte Berufung ist unzulässig.

 

Deshalb kommt es darauf an, ob Herrn Müller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

 

Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht (§ 237 ZPO), hier also das für die Berufung zuständige Oberlandesgericht Braunschweig.

Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, die mit dem Tage beginnt, an dem das Hindernis für die Einhaltung der Frist behoben ist (§ 234 Abs. 1, 2 ZPO).

Die Form des Wiedereinsetzungsantrages richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten (§ 236 Abs. 1 ZPO). Folglich muss hier Frau Barsch schriftlich den Wiedereinsetzungsantrag stellen, da für die Berufung in die Schriftform gilt (§ 518 ZPO). Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten.

Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen, sprich Berufung einzulegen.

Der Antrag könnte wie folgt lauten:

 

 

Dr. Tim
Fischer

Fachanwalt für

Steuerrecht

Victoria

Barsch

Rechtsanwältin und Notarin a.D.

Sabine

Hillebrecht

Fachanwältin für Familienrecht

Ingo-A.

Köhler

Rechtsanwalt

Lotzestraße 56
37083 Göttingen

Tel. 0551

5559866

Fax 0551

5559867

28. August 2000

RA Fischer u.a. Lotzestr. 56 37073 Göttingen

An das

Oberlandesgericht Braunschweig

Bankplatz 6

38100 Braunschweig

In dem Rechtsstreit

des Gastwirtes Jan Peter Müller, Burgstraße 37B, 37073 Göttingen,

Beklagter und Berufungskläger

-Prozessbevollmächtigte Rechtsanwälte Fischer u.a, Göttingen-

gegen

den Rechtsreferendar Peter Schulz, Oelmannstr. 78, 37574 Einbeck,

Kläger und Berufungsbeklagter

-Prozessbevollmächtigte 1. Instanz: Rechtsanwälte Küttler und Wilken, Göttingen-

beantrage ich namens und in Vollmacht des Beklagten wegen der versäumten Frist zur Einlegung der Berufung gegen das am 03. 07. 2000 dem Beklagten zugestellte Urteil des Landgerichts Göttingen vom 26. 06. 2000 -2 O 44/2000-

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Gleichzeitig lege ich gegen dieses Urteil, dessen Ausfertigung ich in der Anlage beifüge

Berufung

ein.

 

Das Wiedereinsetzungsgesuch begründe ich wie folgt:

Das erstinstanzliche Urteil ging in meiner Kanzlei mit dem Empfangsbekenntnis des Landgerichts Göttingen am 03. 07. 2000 ein.

Zusammen mit der Handakte wurde es mir am 03. 07. 2000 von meiner Bürovorsteherin vorgelegt, wobei in der Handakte der Ablauf der Berufungsfrist auf den 03. 08 .2000 und eine Vorfrist auf den 24. 07. 2000 von der Bürovorsteherin notiert war, die auch einen Erledigungsvermerk über die entsprechende Eintragung im Fristenkalender angebracht hatte.

Ich habe daraufhin das Empfangsbekenntnis unterschrieben und die Akte auf den Aktenbock zum Abtragen gelegt, da aus meiner Sicht alles für eine rechtzeitige Wiedervorlage getan war. Der Mandant hatte nach telefonischer Erfragung des Spruchergebnisses schon Weisung erteilt, Berufung zum Oberlandesgericht einzulegen.

Erst am 24. 08. 2000 wurde mir die Akte mit einem Mandantenschreiben wieder vorgelegt, und ich stellte die Fristversäumung fest. Sie beruhte darauf, dass meine seit sechs Jahren ohne jede Beanstandung in meinem Büro tätige Bürovorsteherin Frau Apfel in den Terminkalender versehentlich Frist und Vorfrist auf die Monate August und September (also 24. 08. 2000 bzw. 03. 09. 2000) eingetragen hatte. Ihre Tätigkeit habe ich regelmäßig stichprobenartig überwacht - zuletzt Anfang April 2000 - dabei sind aber weder in der Vergangenheit noch jetzt je Beanstandungen nötig gewesen. Das versichere ich anwaltlich.

Die Berufung begründe ich wie folgt:

...

Viktoria Barsch, Rechtsanwältin

Eidesstattliche Versicherung

Ich arbeite seit 6 Jahren in der Anwaltspraxis Fischer u.a., davon seit drei Jahre als Bürovorsteherin, wobei mir auch Kalenderführung und Fristenkontrolle obliegen. Meine Anwaltsgehilfenprüfung habe ich vor 10 Jahren mit "gut" bestanden. Es ist mir in all den Jahren zum ersten Mal passiert, dass ich mich bei der Fristeintragung in den Kalender um einen Monat vertan habe.

Ich kann mir das Versehen nicht erklären und nur vermuten, dass ich im Zusammenhang mit dieser Eintragung mit anderen Sachen zu tun hatte, in denen es um August-Termine ging, so dass es deshalb zu dem Irrtum gekommen ist.

Annemarie Apfel

 

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist begründet, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Verschulden bedeutet - wie im materiellen Recht - Vorsatz oder Fahrlässigkeit jeder Art.

Herr Müller hat hier keinen Sorgfaltverstoß begangen. Da er sich jedoch das Verschulden seiner Rechtsanwältin Frau Barsch zurechnen lassen muss, kommt es darauf an, ob Frau Barsch an der Versäumung der Berufungsfrist ein Verschulden trifft.

Dass sich Frau Barsch auf die bei ihr langjährig tätige und stets zuverlässige Angestellte Frau Apfel verlassen hatte, kann sie nicht dem Vorwurf eines sorgfaltswidrigen Verhaltens aussetzen. Rechtsanwältin Barsch durfte deshalb mit Recht davon ausgehen, dass ihre Weisungen über die Eintragung von Fristen auch im speziellen Fall von Frau Apfel gefolgt werden.

Für das Verschulden des Büropersonals muss dagegen Frau Barsch nicht einstehen; die ZPO kennt keine dem § 278 BGB entsprechende Vorschrift, die ein Verschulden von Mitarbeitern dem Anwalt selbst zurechnen.

Nur wenn das Versagen von Mitarbeitern auf Organisationsmängel zurückzuführen ist, hat der Rechtsanwalt und über ihn auch die Partei dafür einzustehen. Denn eine mangelhafte Organisation begründet einen Schuldvorwurf gegenüber dem Anwalt selbst.

Hier hat aber Frau Barsch die Fristenüberwachung sachgerecht organisiert, insbesondere hat sie dafür gesorgt, dass Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben. Die Befolgung ihrer Anweisungen hat sie stichprobenartig kontrolliert. Dies wird von der Rechtsprechung verlangt.

Herr Müller wird also mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Erfolg haben.

 

Büttner, Helmut

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
2. Auflage, Bonn 1999

 

 

Jauernig, Othmar

Zivilprozessrecht
24. Auflage, München 1993

 

 

Musielak, Hans-Joachim

Grundkurs ZPO
4. Auflage, München 1998

 

 

Oberheim, Rainer

Zivilprozessrecht für Referendare
4. Auflage, Düsseldorf 1999

 

 

Thomas, Heinz;
Putzo, Hans

Zivilprozessordnung
22. Auflage, München 1999

 

 

Zöller, Richard

Zivilprozessordnung
21. Auflage, Köln 1999

 

 

 


 
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