Forum Teleos:
Herr RA Zerfaß, Sie sind hauptamtlicher Geschäftsführer von
Eurojuris Deutschland e.V. der mit anderen nationalen Vereinen
in der Eurojuris International EWIV zusammengeschlossen ist.
Was genau ist Eurojuris?
Martin Zerfaß: Eurojuris ist die Verkörperung des
Gedankens, dass in einer Zeit, in der Rechtssuchende eine
umfassende Beratung aller ihrer Rechtsprobleme fordern, dies
nicht nur von grossen, mit Spezialisten versehenen, Kanzleien
erbracht werden kann, sondern genauso von den mittelständischen
Büros "um die Ecke", wenn dieses Büro Zugang zu einem Netzwerk
von Kollegen und Spezialisten hat - einem Netzwerk wie Eurojuris.
In Deutschland hat diese Entwicklung durch RA Dr. Geiben
und mit dessen Kanzlei, Dr. Geiben und Kollegen in Saarlouis,
1990 begonnen. Über dessen vielfältige Kontakte nach Frankreich,
Luxemburg und Belgien wurde Dr. Geiben von den dortigen Kollegen
angesprochen, einen Eurojuris Verband, wie er in diesen Ländern
schon bestand, auch in Deutschland aufzubauen.
Das Ergebnis 10 Jahre später ist ein flächendeckender Verband
von über 170 Kanzleien, mit mehr als 750 Rechtsanwälten, die
in diesem Netz miteinander verbunden sind. Hier finden sich
Spezialisten in allen erdenklichen Rechtsgebieten, u.a. im
Produkthaftungsrecht, Arbeitnehmererfindungsrecht, Weinrecht,
Banken- und Börsenrecht, und vielen weiteren mehr.
Darüber hinaus ist Eurojuris Deutschland Mitglied von Eurojuris
International mit Sitz in Brüssel. Dem Dachverband gehören
insgesamt 18 Landesverbände in Europa mit mehr als 3000 Rechtsanwälten
an (gesamte EU plus Schweiz und Norwegen). Regelmäßige Treffen
im In- und Ausland garantieren die persönlichen Kontakte zwischen
den Kollegen und sorgen für einen konstanten Gedankenaustausch.
Weitere Landesverbände befinden sich im Aufbau (Russland,
Polen, tschechische Republik).
Eine Besonderheit des deutschen Landesverbandes ist es noch,
über deutschsprachige sog. assoziierte Mitglieder weltweit,
unter anderem in USA, Südamerika, Südafrika, China, Israel,
etc. zu verfügen.
Forum Teleos:
Die durchschnittliche Größe Ihrer Mitgliedskanzleien liegt
bei 4-10 Anwälten, in Ballungsgebieten auch darüber. Welchen
Nutzen bietet Eurojuris für die angeschlossenen Kanzleien?
Martin Zerfaß: Neben dem offensichtlichen Vorteil,
in ganz Deutschland in jedem Landgerichtsbezirk über persönlich
bekannte Kollegen zur Wahrnehmung von Korrespondenzmandaten
zu verfügen (und natürlich solche Mandate auch von anderswo
zu erhalten), bestehen noch weitere Vorteile in dem Netzwerk
Eurojuris Deutschland, je nach dem, welche Ausrichtung in
der jeweiligen Kanzlei vorherrschen:
Ein Nutzen liegt z.B. darin, in den Rechtsgebieten, die vor
Ort in der eigenen Kanzlei evtl. spezialisiert bearbeitet
werden, aber vereinzelt von Mandanten nachgefragt werden,
einen spezialisierten Kollegen im Netzwerk zu finden, und
somit auch diesen Mandanten zur vollen Zufriedenheit bedienen
zu können. Soweit möglich geschieht dies für den Mandanten
"unsichtbar", durch interne Fragen an den Spezialisten. Der
Mandant braucht nicht zu einer Beratung weite Wege auf sich
zu nehmen.
Andere Kanzleien schätzen vor allem die internationalen Kontakte
zu europäischen und außereuropäischen Kollegen. Durch die
modernen Kommunikationsmittel, über 95% der Eurojuris Kanzleien
verfügen über e- mail, ist die Kommunikation untereinander
wesentlich schneller und unkomplizierter geworden. Die hohe
Verfügbarkeit dieses Mediums im Netzwerk ist sicherlich ein
weiterer Vorteil.
Gemeinsame Veranstaltungen (Generalversammlungen, Fortbildungs-veranstaltungen,
etc.) fördern die persönlichen Kontakte untereinander. Verschiedene
Arbeitsgruppen (Marketing, IT, Qualität u.a.) regen in ihren
regelmäßigen Treffen zum Gedankenaustausch auch in "nicht
juristischen" Gebieten an.
Forum Teleos:
Sehen Sie Probleme für solche Netzwerke durch generell leichtere
Verfügbarkeit von Information?
Martin Zerfaß: Bezüglich der leichteren Verfügbarkeit
von Informationen ist zu sagen, dass dies für uns kein Problem,
sondern eher eine Chance darstellt. Auch im Zeitalter der
Information per Mausklick besteht der Bedarf an persönlichen
Kontakten, ganz zu schweigen von der Wahrnehmung von Korrespondenzmandaten.
Leicht zugängliche Informationen helfen dem einzelnen Eurojurismitglied
(sei es Internet, Juris o.ä.) dabei zu erkennen, welcher Spezialist
für welches Rechtsproblem benötigt wird. Es verschafft sich
dadurch einen Überblick über die auftauchenden Problemfelder.
Aber auch im Internet kann man sich nicht die persönlichen
Erfahrungen des Spezialisten in seinem Spezialgebiet herunterladen
und gerade im juristischen Bereich ist es immer nötig umfassend
informiert zu sein und Wissen nicht nur Bruchstückhaft weitergeben
zu können.
Forum Teleos:
Wie lässt sich ein solches Netzwerk mit insgesamt - 3.000
Anwälten bzw. 760 Anwälten in Deutschland - steuern?
Martin Zerfaß: Auch nach 10 Jahren ist Eurojuris Deutschland
kein schwerfälliger Apparat, der sich nur mühsam steuern lässt.
Im Gegenteil: Durch die Eigenständigkeit der einzelnen Eurojuris-Kanzleien
sind die meisten darauf bedacht eine aktive Rolle im Vereinsgeschehen
zu spielen. Teilnahmequoten von mehr als 50% der Mitgliedskanzleien
an unserer letztjährigen Generalversammlung sprechen eine
deutliche Sprache. Die Struktur der Kanzleien in Eurojuris
Deutschland ist auf der einen Seite sehr heterogen, was die
Größe der Kanzleien angeht (vom spezialisierten Einzelanwalt
bis hin zur überörtlichen Sozietät mit 4 Standorten und ca.
50 Rechtsanwälten), die Ziele sind jedoch recht einheitlich.
Da alle Kanzleien sich dem Mittelstand zugehörig fühlen sind
deren Wünsche und Probleme meist ähnlich. Auch versucht Eurojuris
Deutschland gar nicht die Mitglieder in eine bestimmte Richtung
zu drängen, sondern vielmehr durch angebotene Dienstleistungen
und Überzeugungsarbeit die Mitgliedskanzleien zu unterstützen.
Forum Teleos: Kann
ein solches Netzwerk genauso schlagkräftig sein wie ein einzelnes
homogenes Unternehmen? Wo sehen Sie die Vorteil des Netzes?
Martin Zerfaß: Für mich liegt der eindeutige Vorteil
eines Netzwerkes darin, dass es keine festgefahrenen Strukturen
oder Hierarchieebenen gibt. Alle Mitgliedskanzleien, ob groß,
ob klein, stehen auf einer Stufe. Jeder hat die gleichen Rechte
und Pflichten sowie Möglichkeiten sich in das Netzwerk einzubringen
und seine Ideen und Wünsche zu verwirklichen. Bei einem einzelnen
Unternehmen sind bestimmte Dienstwege einzuhalten, gibt es
u.U. sogar Grabenkriege, die wir bei Eurojuris nicht kennen.
Natürlich gibt es verschiedene Meinungen innerhalb Eurojuris.
Wir versuchen aber sämtlichen Anregungen nachzugehen und soweit
möglich zu realisieren. In einem Verband wie Eurojuris ist
die Verbandsführung für die Mitglieder da, nicht umgekehrt.
Hinzu kommt die Möglichkeit flexibel auf Veränderungen zu
reagieren. Hier hilft natürlich, dass die Geschäftsstelle
von Eurojuris Deutschland angegliedert ist an das Büro des
Präsidenten des Vorstandes, RA Dr. Geiben und somit die Kommunikationswege
extrem kurz sind.
Forum Teleos:
Was muss ich als niedergelassener Anwalt tun, um bei Eurojuris
e.V. Mitglied zu werden? Was sind die Mindestvoraussetzungen?
Wie prüft Eurojuris, ob eine neue Kanzlei die richtige ist?
Gibt es Instrumente mit denen evaluiert wird, ob der nächste
"Knoten" das Netz stärker macht oder schwächt?
Martin Zerfaß: Grundsätzlich wurden und werden Kanzleien
nur auf begründete Empfehlungen aufgenommen. In der Regel
waren aufgenommene Kanzleien anderen Mitgliedern bereits bekannt.
Wenn Anträge im übrigen bei der Geschäftsstelle von Eurojuris
Deutschland, Hohenzollernring 6, 66740 Saarlouis eingehen,
wird wie folgt verfahren: Die Antragsteller werden gebeten,
ihre Kanzleien eingehend vorzustellen (Tätigkeitsschwerpunkte,
Spezialisierungen, Anzahl der Anwälte, Referenzmandate usw.).
Des weiteren wird nach min- destens zwei Empfehlungen von
Mitgliedskanzleien gefragt. Aufgenommen werden nur mittelgroße
bis größere Kanzleien, in denen Anwälte zumindest nach Tätigkeitsschwerpunkten
arbeiten oder aber Einzelanwälte, die sich spezialisiert haben.
In die Entscheidung über die Aufnahme miteingebunden werden
bereits ansässige Eurojuris-Kanzleien vor Ort. Abschließend
überprüft der Vorstand die Anträge auf Mitgliedschaft. Eine
Überprüfung vor Ort kann, muss aber nicht stattfinden.
Forum Teleos:
Talentierte Juristen sind umworben. Was macht die Tätigkeit
in einer der Mitgliedskanzleien von Eurojuris attraktiv, verglichen
mit der Tätigkeit in einer der internationalen Großkanzleien?
Martin Zerfaß: Diese Frage ist zunächst mit einem
Obersatz zu beantworten: Für talentierten Nachwuchs ist es
interessant, in einer Kanzlei tätig zu sein, die über die
Vorteile einer internationalen Großkanzlei verfügt, die aber
gleichzeitig deren Nachteile vermeidet.
Zur Attraktivität insbesondere:
Da das Netz flächendeckend über das Land verteilt ist, können
sich die Juristen jeder Mitgliedskanzlei bei der Vertretung
an jedem Landgericht auf kompetente Mitgliedskanzleien verlassen.
Alle Mitgliedskanzleien verfügen wegen des Netzes über Spezialisten
auf nahezu allen, auch "abgelegenen" Rechtsgebieten. Es ist
sehr interessant für jeden Juristen, jederzeit auf einen Spezialisten
des Verbundes zurückgreifen zu können. Talentierter Nachwuchs
kann umgekehrt in einer Mitgliedskanzlei vorhandenes Spezialwissen
dem gesamten Netz anbieten. Den Rechtsanwälten der Mitgliedskanzleien
stehen somit mehr Betätigungsmöglichkeiten offen; wenn sie
dies nicht wollen, sind sie nicht auf die Tätigkeit nur auf
einem Spezialgebiet angewiesen, wie dies in Großkanzleien
oft der Fall ist.
Da die Eurojuris-Verbände im europäischen Ausland ähnlich
strukturiert sind, kann jeder Rechtsanwalt jeder Mitgliedskanzlei
auch dort flächendeckend auf zuverlässige Kanzleien zurückgreifen.
Hingegen sind internationale Großkanzleien nur an einigen
wenigen Zentren vertreten. Juristen können also in einer Eurojuris-Mitgliedskanzleien
mit fachlich gleicher Kompetenz wie in Großkanzleien tätig
sein, regional und international aber mit weitergehenden Leistungen
für die Mandantschaft.
Ein entscheidender weiterer Vorteil für den Juristen jener
Kanzlei: Er selbst kann stets Ansprechpartner für den Mandanten
vor Ort. Der Anwalt ist also nie gezwungen, den Mandanten
an einen unbekannten Spezialisten in einer überörtlichen Sozietät
in einer entfernt liegenden Stadt zu verweisen.
Ein weiterer Vorteil im Ausland: Eurojuris Deutschland hat
auch im außereuropäischen Ausland darauf geachtet, dass assoziierte
Mitglieder über deutschsprachige Anwälte verfügen. Deshalb
können alle Rechtsanwälte von Eurojuris Mitgliedern beispielsweise
in New York, Miami, Oakland, Moskau, St. Petersburg, Peking,
Johannesburg, Tel Aviv, Quito usw. bei Bedarf die Hilfe von
deutschsprachigen Juristen zurückgreifen (und demzufolge an
solche deutschsprachigen Juristen verweisen, wenn der Mandant
im Einzelfall nicht bei seinem Ansprechpartner in der örtlichen
Hauskanzlei bleiben möchte).
Das ausländische Eurojuris-Mitglied behandelt der Rechtsanwalt
der Mitgliedskanzlei (und dessen Mandanten) wegen seiner eigenen
Einbindung in das Eurojuris Netz nicht wie einen Auftraggeber
aus einem einmaligen Mandat, sondern bevorzugt wie ein Mandat
eines Dauerkunden (die Qualität eines in- und ausländischen
Mitgliedes wird laufend überprüft).
Fazit: Interessant für jede/n Rechtsanwalt/in, in einer Eurojuris
Kanzlei tätig zu sein, ist die Tatsache, dass man in eine
Kanzlei mit der Kompetenz einer internationalen Großkanzlei
eingebunden wird, gleichzeitig aber alle Vorteile einer mittelgroßen,
örtlichen Kanzlei behält, in der der persönliche, laufende
Kontakt zwischen den Juristen und laufenden Mandanten aufrecht
erhalten werden kann.
Forum Teleos:
Was macht ihre persönliche Arbeit aus? Womit beschäftigen
Sie sich konkret den ganzen Tag?
Martin Zerfaß: Einen typischen Tagesablauf oder die
typische Tätigkeit gibt es bei mir nicht. Ein Teil meiner
Tätigkeit beinhaltet die Beantwortung von Anfragen der Mitglieder,
sei es per Telefon, Fax, e-mail oder Post zu verschiedensten
Punkten. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit ist weiterhin die
Suche und Entwicklung neuer Dienstleistungen für die Mitglieder,
z.B. verhandeln und Abschluss von Rahmenverträgen etc. Im
letzten und teilweise auch diesem Jahr war die konzeptionelle
Entwicklung und Gestaltung einer neuen Verbandshomepage ein
Tätigkeit, die mich im Rahmen des Projektmanagements viel
beschäftigt hat. Aber auch die Gestaltung der Verbandsbroschüre,
Organisation von Veranstaltungen und Arbeitsgruppen, Repräsentation
im In- und Ausland gehören zu meinen Aufgaben. Last but not
least gehört natürlich auch die Unterrichtung des Vorstandes
über das Tagesgeschäft zu meiner Tätigkeit. Momentan betreue
ich ca. 25 - 30 grössere oder kleiner Projekte parallel.
Forum Teleos:
Wie sind Sie an diese Stelle gekommen? Was war ausschlaggebend
für beide Seiten?
Martin Zerfaß: Beworben habe ich mich auf eine Anzeige
in der NJW. Ich war nach dem Referendariat auf der Suche nach
einer Beschäftigung abseits des Rechtsanwaltsberufes (obwohl
ich auch schon in einer Kanzlei gearbeitet habe). Ausschlaggebend
für mich dabei war die Möglichkeit, meinem Interesse am Management
und an eigenverantwortlicher Tätigkeit nachzugehen.
Von Seiten des Eurojuris Vorstandes wurde ein Rechtsanwalt
gesucht, der sich für die Mitglieder und den Verband einsetzt,
die drei Arbeitssprachen von Eurojuris International spricht
(deutsch, englisch und französisch), den neuen Medien aufgeschlossen
gegenüber steht und in Zusammenarbeit mit dem Vorstand den
Verband weiter nach vorne bringt. Eurojuris ist als Idee und
von seiner Grösse her wohl einzigartig in Europa. Das dies
momentan der Fall ist, bedeutet aber nicht, dass wir uns auf
diesen "Lorbeeren" ausruhen können. Wer nicht nach vorne geht,
bleibt zurück. Diese Einstellung, den Verband weiterzubringen,
hat entscheidend auf die Auswahl eingewirkt.
Rechtsanwalt Martin Zerfaß ist 31 Jahre
alt, er ist mit einer Juristin verheiratet. Das Studium in
Tübingen schloss er mit einem befriedigenden Examen ab. Referendariat
in: Waldshut- Tiengen und der Wahlstation in der Schweiz folgte
das zweite - ausreichende - Examen. Martin Zerfaß spricht
neben deutsch perfekt Englisch und Französisch und hat Grundkenntnisse
im italienischren und tschechisch. Zudem hat er während eines
2 Jahre USA-Aufenthaltes einen High School Abschluss gemacht.
Im Moment bildet er sich im Bereich Management sowie Internet-
und Onlinerecht weiter.
Das Interview wurde zwischem dem 24. und dem 29. Februar
2000 per eMail geführt.
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